Comic Saturday | Rezension: Turing


Im Rahmen des Comic Saturdays von Book Walk und mir möchte ich euch heute einen ganz besonderen Comic-Titel vorstellen. Die Rede ist von der Comic-Biografie Turing aus dem avant-Verlag. Robert Deutsch erzählt in seinem Titel die Geschichte des Wissenschaftlers Alan Turing, wobei er nicht nur seinen Beitrag zur Informatik und seine versteckte Sexualität beleuchtet, sondern auch versucht, seinem Suizid auf den Grund zu gehen. Warum mich dieser Comic sehr berührt hat und wieso er so außergewöhnlich ist, erfahrt ihr in diesem Beitrag.


Der Wissenschaftler Alan Turing begegnet 1951 einem Mann namens Arnold, dem er sich annähert. Er erzählt ihm nicht nur von seiner Arbeit, sondern auch von seiner Vergangenheit. Turing bemerkt, dass er Gefühle für Arnold hat, doch er lebt zu einer Zeit, in der Homosexualität von der Gesellschaft und der Politik nicht angenommen wird. Als Turing bei einem Vorfall ausgeraubt wird, muss er sich der Polizei stellen, die ihm grobe Unzucht und sexuelle Perversion vorwirft, was den Wissenschaftler maßlos enttäuscht und verärgert und nicht anerkennen will. Er soll sich einer Hormonbehandlung unterziehen und Turing spürt, wie ihm das eigene Leben immer mehr entgleitet.

Als ich erfahren habe, dass es eine Comic-Adaption von Alan Turings Leben gibt, war ich Feuer und Flamme, den Titel zu lesen. Seit Benedict Cumberbatchs großartiger Interpretation von Turing in The Imitation Game geht mir die dramatische Geschichte von Turing nicht mehr aus dem Kopf.

Robert Deutsch veranschaulicht in Turing nicht hauptsächlich seine Arbeit in der Wissenschaft. Wer hofft, dass es sich in diesem Titel maßgeblich um die Entschlüsselungsmaschine Enigma dreht, muss sich von diesem Gedanken daher schnell verabschieden. Auch wenn die Turingmaschine und seine Arbeiten während des Zweiten Weltkriegs angesprochen werden, bleibt im Zentrum die Frage: Wer war Alan Turing wirklich?
Der Comic baut seinen Suizid in der Geschichte auf und soll versuchen, Aufschlüsse darüber zu geben, warum Turing Selbstmord begangen hat. Unter anderem wird seine tragische Bekanntschaft mit Arnold Murray ausgeführt. Wegen der Beziehung zu Arnold wurde Turing angeklagt, da Homosexualität bis 1967 in Großbritannien strafbar war. Darüber hinaus zeigt der Comic auch Turings sogenannte „Rehabilitation“ durch eine Hormontherapie.

Die Ereignisse aus Turings Leben werden ungeschönt und realistisch dargestellt. Das führt dazu, dass sich beim Lesen hin und wieder ein dicker Kloß in der Kehle bildet und man nicht selten entsetzt über die Gesellschaft zu der damaligen Zeit ist. Der Comic ist nichts für sensible Leser, denn man wird mit Themen wie Depressionen, Isolation, Einsamkeit und Suizidgedanken konfrontiert. Ich wurde von der Geschichte wahnsinnig bewegt und fühlte regelrecht Mitleid mit Turing. Obwohl man eigentlich schon weiß, wie sein Leben endet, hofft man aber dennoch die ganze Zeit, dass der Comic anders aufhört.

Interessant sind auch die Einschübe aus dem Disney-Film Schneewittchen und die sieben Zwerge von 1937. Immer wieder begegnet man beim Lesen Anspielungen und Referenzen, wie beispielsweise kleine Zwerge, die durch die Panels laufen. Die Motive ziehen sich durch die gesamte Geschichte und zeigen Parallelen zu Turings Leben auf, der Zeilen aus dem Film immer wieder gesungen haben soll.

Rein zeichnerisch war ich absolut begeistert von Turing. Obwohl die Figuren recht grob und unausgeprägt gezeichnet sind, ließen mich die Panels immer wieder staunen. Der Aufbau von meist sechs Panels pro Seite wird immer wieder von großen Bildern, teilweise sogar auf zwei Seiten, durchbrochen. Richtig imposant sind vor allem die großen Zweiseiter, die Mal einen Auszug aus Turings Gedankenwelt oder mal eine Landschaft oder Architektur zeigen. Mal haben die Panels einen Rahmen, mal stehen Figuren oder Objekte frei und lassen Spielraum für fantasievolle Erzählung. Der Text steht eher im Hintergrund, sodass man sich ganz auf die Bilder und das, was auf ihnen geschieht, konzentrieren kann. Dadurch hat man Turing aber auch ziemlich schnell ausgelesen, was ich doch etwas schade fand.
Vor allem die Farben sind außergewöhnlich und eher matt als kräftig, was die Atmosphäre des Comics unterstützt. Auch eine Episode in schwarzweiß wird herangezogen und gegen Ende folgt ein Erzählstrang in gelb-schwarz, wodurch Abwechslung entsteht. Die Entscheidung, Turing im Großformat zu drucken, war deshalb auch genau richtig, um der Geschichte das zu geben, was sie braucht.


Man mag kaum glauben, dass es sich bei Turing um das Debut von Robert Deutsch handelt. Mit den Bildern wird so viel mehr erzählt als mit Worten, was den Comic als Medium hervorhebt und dazu führt, über das Gezeigte nachzudenken. Vielleicht hätte der Comic mich noch mehr begeistert, wenn die Figuren etwas präziser gezeichnet worden wären und das Lesevergnügen etwas länger angedauert hätte – aber auf der anderen Seite braucht der Comic das alles nicht, um zu funktionieren. Alan Turings Gedankenwelt wird ausführlich von Deutsch interpretiert und der Comic beschäftigt sich eher mit dem Privatleben des Wissenschaftlers, anstatt mit seiner Arbeit. Die Angstzustände Turings werden in ihrer harten Realität gezeigt, sodass man sich als Leser oft mit einem unwohlen Gefühl zurückgelassen fühlt. Aber gerade wegen den Emotionen, die der Comic in mir weckte, war ich begeistert von Turing. Ich vergebe für den Comic von Robert Deutsch aus dem avant-Verlag vier von fünf möglichen Lesebrillen.


Titel: Turing
Text und Zeichnungen: Robert Deutsch
ISBN: 978-3-945034-55-2
Verlag: Avant-Verlag
Preis: 29,95€
Sonstiges: 192 Seiten, Hardcover, vierfarbig



Die genannten Details sind der Website des Avant-Verlags entnommen.

Vielen Dank an den Avant-Verlags für das Belegexemplar!




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